Kippt Vorrang für Erdkabel bei HGÜ-Trassen?

Es rumort wieder im Land. Seit 2015 gilt die gesetzliche Regelung zur Erdverkabelung bei HGÜ-Trassen. Doch nun wollen Übertragungsnetzbetreiber und anscheinend auch bestimmte Politikerkreise zurück zur Freileitung. Ein erschreckendes Signal, denn hier soll ein Gesetz außer Kraft gesetzt werden, das in Teilen der Bevölkerung als Kompromisslösung für den geplanten Netzausbau galt. Niemand will an die 100 Meter hohe Masten in direkter Nachbarschaft zur Wohnbebauung.

>> PRESSEMITTEILUNG vom 28.05.2024 <<

Kippt Vorrang für Edkabel bei HGÜ-Trassen?

Für Politik und Übertragungsnetzbetreiber wie TransnetBW und TenneT wird die Bezahlbarkeit des geplanten  Netzausbaus zunehmend zum Problem. Jetzt sollen z.B. die gigantischen HGÜ-Leitungen NordWestLink und SuedWestLink als Freileitung gebaut werden, weil man dadurch angeblich rund 20 Milliarden Euro einsparen könnte. Doch von diesen Überlegungen sind inzwischen alle Höchstspannungsleitungen betroffen, auch jene, deren Planungsverfahren bereits weit fortgeschritten sind.

Nun tritt ein, wovor das Aktionsbündnis Trassengegner gemeinsam mit dem Bundesverband der Bürgerinitiativen gegen SuedLink (BBgS) seit Langem warnt: Die Kosten für die zahlreichen Neubauten sprengen mittlerweile jede Vorstellungskraft! Langsam beginnt es in Politik und Gesellschaft zu rumoren, die Unsicherheit bzgl. einer gesicherten Energieversorgung steigt. Die Übertragungsnetzbetreiber stehen offensichtlich massiv unter Druck und sind mit der Umsetzung der Erdverkabelung sichtbar überfordert. Ihr Lösungsvorschlag: Rückkehr zur Freileitung.

Auf politischer Ebene sieht man dadurch ein Einsparungspotential von angeblich 20 Milliarden Euro. Es wird verdrängt, dass der geplante Netzausbau in seiner Gesamtheit nicht bezahlbar ist. Die reinen Investitionskosten für den Übertragungsnetzausbau betragen laut Netzentwicklungsplan aktuell bereits unfassbare 320 Mrd. Euro. Die zu erwartenden Kosten insgesamt liegen aber bei weit über 600 Mrd. Euro. Wir sind der Meinung: Hier müsste die Kritik ansetzen! 20 Mrd. Euro sind in diesem Zusammenhang „Peanuts“ und tragen weder dazu bei, die Energieversorgung kostengünstiger noch klimafreundlicher zu machen. Der Netzausbau muss deshalb komplett auf den Prüfstand.

Was fehlt, ist die Diskussion um die Finanzierbarkeit des gesamten Netzausbaus

Eine realistische Preispolitik ist nur durch die Betrachtung des Gesamtpaketes Netzausbau möglich. So wird schnell klar, dass man ganz Europa nicht auf Kosten der Stromkunden verkabeln kann. Wenn Parteien und Interessenverbände meinen, mit ein paar Erdkabeln weniger könnte man die Netzausbau-Planungen wieder „aufhübschen“  und auf bezahlbar frisieren, nur um Großkonzernen weiterhin Profite auf Kosten der Allgemeinheit zu garantieren, unterschätzen sie den gesamtwirtschaftlichen Schaden, den sie dadurch anrichten. Die Streichung einiger Erdkabel zu Gunsten von bis zu 100 m hohen Strommasten durch Naturschutz- und Erholungsgebiete und oftmals in unmittelbarer Nähe zur Wohnbebauung, würde aufgrund der Abstandsregelung letztendlich auch eine Neuplanung der Trassenverläufe erfordern. Für Land- und Forstwirte ergeben sich dadurch keine Erleichterungen, denn Flächenverbrauch inkl. Bodenverdichtung und Abholzungen sind weiterhin unumgänglich. Auch wenn inzwischen durch permanente Gesetzesänderungen die Beteiligung der Öffentlichkeit an Planungsprozessen fast gänzlich abgeschafft wurde, der Bürgerprotest wird sich wieder verstärkt gegen diese neuen Netzplanungen richten.

Dass der Erdkabelvorrang bei zahlreichen Projekten wieder eingestampft werden könnte, hat sich leider schon seit einigen Wochen abgezeichnet. Bereits im Februar wurde dies von Vertretern des Aktionsbündnisses im Gespräch mit Klaus Müller, dem Präsidenten der  Bundesnetzagentur, thematisiert. (siehe: www.stromautobahn.de) Umso wichtiger ist endlich ein ehrlicher Blick auf den tatsächlichen Leitungsbedarf.

Neue Übertragungsleitungen werden nicht für die Versorgungssicherheit benötigt

Im Zuge der Energiewende muss tatsächlich das überlastete Stromnetz ausgebaut werden. Allerding vorrangig das Verteilnetz. Was den Bedarf an Leitungen betrifft, bleiben wir bei unseren langjährigen Erkenntnissen aus der Analyse der offiziellen Netzentwicklungspläne: Ein Großteil der neuen Höchstspannungsleitungen erfüllt hauptsächlich die Funktion von Transittrassen. Das heißt, der Strom wird durch Deutschland hindurchgeleitet, um den europäischen Stromhandel und somit den privatwirtschaftlichen Profit von Großkonzernen und Übertragungsnetzbetreibern weiter zu optimieren. Den Stromtransport gibt es zum Nulltarif –  das benötigte Stromnetz bezahlen vorrangig private Stromkunden und mittelständische Betriebe.

Fakt ist, dass der Bruttostromverbrauch seit Jahren kontinuierlich sinkt, trotz verstärkter Elektrifizierung im Mobilitätssektor und in industriellen Produktionsprozessen. Dies hängt an der sich abschwächenden Wirtschaftsleistung in Deutschland. Auch der zunehmende Eigenverbrauch, der z.B. durch PV-Flächen auf Dächern gedeckt wird, und Effizienzmaßnahmen beeinflussen den Strombedarf. Nachgewiesen ist auch, dass die Prognosen zum künftig ansteigenden Stromverbrauch zumindest bis ins Jahr 2030 nicht zutreffen. Doch gerade diese überhöhten Prognosen sind der wesentliche Treiber für den Ausbaubedarf  der Stromverteil- und Übertragungsnetze. Sie dienen als Grundlage für die Ausbauziele bei erneuerbaren Energien und der benötigten installierten Leistung.

Die Bundesregierung hält unbeirrt an einem überdimensionierten Übertragungsnetzausbau fest, der dem Gemeinwohl in keiner Weise dienlich ist. Im Gegenteil, man versäumt, die Priorität auf den Verteilnetzausbau zu legen, um dezentrale Erzeugungs- und Verbrauchsstrukturen optimal zu nutzen und die Energiewende flächendeckend voranzubringen.

Zehn Jahre Widerstand

Die Bürgerinitiativen im Aktionsbündnis Trassengegner und im BBgS sind seit mittlerweile 10 Jahren bundesweit aktiv und engagieren sich für eine dezentrale Energiewende, die durch den massiven Übertragungsnetzausbau leider zunehmend ausgebremst wird. An vielen Orten gibt es seit Jahren unermüdlichen Protest. Dass dieser Protest nach wie vor notwendig ist, zeigt sich daran, dass politische Entscheidungen keine Verbindlichkeit mehr haben. Gesetzlich geregelte Vereinbarungen – wie Erdverkabelung bei HGÜ-Trassen –  werden noch vor Realisierung der ersten Leitung verworfen. Auch dringend notwendige Kosten-Nutzen-Analysen zum Leitungsbedarf finden nicht statt. Aufgrund leerer Versprechungen sinkt die Kompromissbereitschaft in der Bevölkerung und der Widerstand gegen den völlig überzogenen Stromnetzausbau wird sich erneut verschärfen.

Für die Bürgerinitiativen:

Maria Quanz – Bundesverband der BI gegen SuedLink (BBgS)

Dörte Hamann – Aktionsbündnis Trassengegner

Sebastian Locker – Aktionsbündnis Ultranet