„Sollen Stromtrassen künftig wieder vermehrt oberirdisch verlegt werden?“ Diese Anfrage der Bayerischen Staatszeitung zum Thema Netzausbau haben wir zwar gerne beantwortet. In Anbetracht der angespannten Haushaltslage und der schlechten Wirtschaftsprognose, ist ein sachlicher Blick auf die Gesamtsituation jedoch unabdingbar. Während sich politisch ein Stimmungswandel zugunsten der Freileitung ankündigt, ist für Bürgerinitiativen eine Rückkehr zu gigantischen Strommasten das falsche Signal.
Bevor man über einen erneuten Systemwechsel (vom Erdkabel zurück zur Freileitung) nachdenkt, muss der gesamte Netzausbau auf den Prüfstand. Es fehlt allerorts an Kapital. Die Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren und inzwischen werden auch wieder Arbeitsplätze abgebaut. Natürlich bereitet dies der Bundespolitik, aber auch den Länderregierungen Sorgen. Die Klimaneutralität rückt in weite Ferne und ist bis zum Zieljahr 2045 nicht zu schaffen. Also was tun? Es sind nicht allein die massiven Investitionen in die Stromnetze, auch die Wärmenetze (inkl. der entsprechenden Erzeugungsanlagen) sind nicht finanzierbar. Der Strompreis wird sich für alle Verbraucher über Jahrzehnte hinweg deutlich erhöhen.
Schadensbegrenzung durch Rückbesinnung, diesem Gedankengang dürfen sich Politiker:innen nicht weiter verschließen. In Zeiten leerer Kassen bleibt der zellulare Ansatz eine machbare und finanzierbare Option. In Fachkreisen wird eine dezentral gesteuere und verbrauchsgerecht umgesetzte Energiewende zunehmend diskutiert. Durch den richtigen Technologiemix (Wind, PV, Biomasse, Speicher, Gas/H2-Kraftwerke) könnten regional Erzeugung und Verbrauch optimal aufeinander abgestimmt werden. Der Netzausbaubedarf würde deutlich reduziert werden und man könnte den verbleibenden Ausbaubedarf in Summe schneller und günstiger realisieren. Aber solange politisch Verantwortliche an einem zentralistischen System festhalten, werden viele alternative Möglichkeiten bereits im Keim erstickt.
Die Verteilnetze bleiben die Lebensadern der Energiewende. Die Akzeptanz für künftige Ausbaupläne kann nur dann steigen, wenn den Menschen vor Ort die Möglichkeit zur Teilhabe gegeben wird.
Kommentar für die Bayerische Staatszeitung zur
Frage der Woche (27.06.2024): „Sollen Stromtrassen jetzt vermehrt oberirdisch gebaut werden?“
„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“, scheint zunehmend der Leitsatz für politisches Handeln zu werden. Keine Ausrede ist zu schade, kein Argument zu weit hergeholt, um Entscheidungen zu revidieren, mit denen man den massiven Widerstand gegen den Übertragungsnetzausbau abschwächen wollte. Es ist keine neue Erkenntnis, dass Erdkabel Mehrkosten verursachen. Das war der erhoffte Deal für mehr Akzeptanz. Inzwischen wird das Geld für die gigantischen Netzausbau-Pläne der ÜNB knapp. Die Netzentgelte steigen unaufhaltsam und belasten die Stromkunden. TenneT ist bereits überfordert und will seine Übertragungsnetzanteile verkaufen. Umso armseliger der Versuch, durch Freileitungen das Ruder noch herumzureißen.
Die Netzplanungen haben bereits begonnen, eine Umplanung zu Freileitungen würde neue Kosten verursachen. Die reinen Investitionskosten für den Übertragungsnetzausbau liegen bei 320 Milliarden. Einsparpotential ergibt sich somit in erster Linie dann, wenn die Dimensionierung des Netzausbaus auf den Prüfstand gestellt wird und nicht, indem man auf Erdkabel verzichtet.
Studien zu Gesundheitsgefährdungen durch Freileitungen werden ignoriert, mögliche Probleme klein geredet. So auch die negativen Auswirkungen ionisierter Raumladungswolken, die verstärkt an HGÜ-Freileitungen vorkommen. Es passt ins Bild, dass neuerdings Betriebsgeräusche einer Höchstspannungsleitung (je nach Wetterlage äußerst unangenehm) per Gesetz keinen Lärm mehr darstellen. Verbindliche Abstandsregelungen zur Bebauung existieren nicht. Unter diesen Voraussetzungen sind Freileitungen keine Option für mehr Akzeptanz. Neuer Protest ist vorprogrammiert.
Freileitungen sind störanfällig, wie jüngste Beispiele eindrucksvoll belegen. Extreme Wettersituationen häufen sich, Sabotageakte lassen sich nicht vermeiden. Während die Politik den Lobbyverbänden blind folgt, gerät die Energiesicherheit zunehmend in Gefahr.