Jede Stromleitung, jedes große Infrastrukturprojekt, bedeutet einen Eingriff in das natürliche Wohnumfeld der Menschen vor Ort. Wer nicht selbst direkt betroffen ist, mag manchmal den Kopf schütteln über den Protest der Bürgerinitiativen, aber durch den Konvent in Fulda zum Thema „SuedLink, SuedOstLink, Ultranet – im Spannungsfeld von Energiewende, Politik und Netzausbau“ wurde deutlich aufgezeigt, dass es legitim ist, den Bau der geplanten HGÜ-Leitungen zu hinterfragen.
Für den BBgS und die Aktionsbündnisse von Süd-Ost-Trasse und Ultranet war die Veranstaltung mit 200 Teilnehmern ein voller Erfolg. Bundesweit waren Mitglieder der Bürgerinitiativen aber auch Vertreter/innen aus Politik und Wirtschaft angereist, um sich zu informieren und gemeinsam mit der interessierten Öffentlichkeit über Sinn und Notwendigkeit des geplanten Übertragungsnetzausbaus zu diskutieren. Denn HGÜ-Leitungen kann man auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten: SuedLink wird, im Interesse der EU, eine Megatrasse für den grenzüberschreitenden Stromhandel, jedoch auf Kosten der Allgemeinheit. Die Süd-Ost-Trasse sichert den uneingeschränkten Transport von Kohlestrom aus den ostdeutschen Abbaugebieten nach Bayern und das HGÜ-Projekt Ultranet verstärkt eine bereits bestehende Wechselstromtrasse mit ungeklärten Risiken für die Gesundheit der Anwohner, da trotz Pilotprojekt weder ein Mindestabstand zur Bebauung noch eine Erdverkabelung geplant sind.
Guntram Ziepel, BBgS
⇒ Einführungsvortrag
Dörte Hamann, Sprecherin Aktionsbündnis gegen die Süd-Ost-Trasse (SuedOstLink)
⇒ Stillstand in der Energiewende – Beschleunigung beim Trassenbau?
Franziska Hennerkes, Sprecherin Aktionsbündnis Ultranet
⇒ Das Experiment über unseren Köpfen – Ultranet
Energieexperten diskutieren kontrovers über die notwendigen Ausbaumaßnahmen für das Stromnetz der Zukunft. Denn Netzausbau ist keine Garantie für das Gelingen der Energiewende und birgt viele Risiken. Zusätzlich verhindert die ständige Novellierung der gesetzlichen Grundlagen die Planungssicherheit beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und Investoren werden verunsichert. Die Energiewende gerät ins Stocken. Doch was was geschieht, wenn sich Politik nicht vorrangig dem Klimaschutz, sondern den wirtschaftlichen Interessen einflussreicher Lobbyverbände verpflichtet sieht? Welchen Netzausbau brauchen wir tatsächlich für Energiewende und Versorgungssicherheit?
Umweltorganisationen erarbeiten unter der Prämisse des Umwelt- und Naturschutzes bürgerfreundliche Lösungsansätze und Unternehmen erstellen bereits heute erfolgreich zukunftsweisende Energiekonzepte. Der Konvent in Fulda bot Gelegenheit, einen Einblick in diese Arbeit zu erlangen: Erneuerbare Energien auch regional sinnvoll nutzen, Speichersysteme fördern und Power-to-Gas-Technologie schnellstens in den Markt integrieren, die Sektorenkopplung vorantreiben und somit unnötigen Netzausbau verhindern.
Schon seit längerer Zeit arbeiten BUND e.V. und BBgS beim Thema Netzausbau eng zusammen. Dr. Werner Neumann, Leiter des Arbeitskreises Energie beim BUND, hat bereits viele Stellungnahmen zu Netzentwicklungsplan, Szenariorahmen und Strategischer Umweltprüfung verfasst. Viele Bürgerinitiativen schätzen seine Arbeit als fachlich fundierte Argumentationshilfe bei der Forderung nach mehr Dezentralität und weniger Netzausbau. Leider musste Herr Neumann seine Teilnahme am Konvent absagen, aber dankenswerter Weise hat seine Mitarbeiterin Frau Terhorst kurzfristig die Vertretung übernommen.
Der Vortrag von Dr. Neumann wird noch nachgereicht.
⇒ Dezentrale Energiekonzepte für Netzumbau mit weniger Leitungen
Die B.A.U.M.Consult GmbH verfügt über einen großen Erfahrungsschatz bei der Entwicklung von Energie- und Klimaschutzkonzepten auf Basis erneuerbarer Energien und begleitet Kommunen von der Potentialanalyse bis zur Umsetzung konkreter Maßnahmen, denn die Umstellung auf eine zukunftsfähige und wirtschaftliche Energieversorgung ist für viele Gemeinden und Städte eine große Herausforderung. Wie ein flexibles zellulares Energiesystem von morgen aussehen kann, wurde dem interessierten Publikum am Konvent von Alexander von Jagwitz an einem anschaulichen Beispiel vorgestellt.
Alexander von Jagwitz – B.A.U.M.Consult GmbH
⇒ Ein regionales Energiekonzept basierend auf 100% Erneuerbaren Energien – Ein Projekt der Stadtwerke Wunsiedel
Als Stromkunden und Steuerzahler fordern Bürgerinnen und Bürger Alternativen zu den großen HGÜ-Leitungen. Der Konvent in Fulda hat den Protest gegen einen Netzausbau verdeutlicht, der aufgrund lukrativer Stromhandelsgeschäfte deutlich überdimensioniert wird. Unbestritten, dass die sogenannten „Energiewendeleitungen“ auch für den Transport von Kohle- und Atomstrom in beträchtlichem Umfang genutzt werden. Übertragungsnetzbetreiber geben sich dennoch gerne einen „grünen Anstrich“ und blenden aus, dass über 95% der Erneuerbaren Energien in die Verteilnetze eingespeist und durch diese weitergeleitet werden. Daher sollte der Ausbau der Übertragungsnetze nicht zwingend mit Energiewende gleichgesetzt werden. Die Bedarfsermittlung für neue Stromleitungen im Höchstspannungsbereich liegt ebenso im Aufgabenbereich der ÜNB wie Planung, Bau und Betrieb von Stromtrassen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass hier eigene wirtschaftliche Interessen eine wichtige Rolle spielen.
Thomas Wagner – ÜNB TenneT
⇒ Infrastruktur für die Energiewende
Die Bundesnetzagentur ist zwar für die korrekte Durchführung der Planungsverfahren zuständig, aber immer wieder wird von Bürgerinitiativen bemängelt, dass die Konsultationsmöglichkeiten für die Öffentlichkeit reine Alibimaßnahmen sind. Eine Mitbestimmung ist nach wie vor nicht möglich, auch wenn tausende Stellungnahmen zu den jeweiligen Verfahrensschritten eingereicht werden. Matthias Otte, Abteilungsleiter Netzausbau, erklärte sich am Konvent bereit, die Rolle der Bundesnetzagentur zu erläutern und dem Publikum Rede und Antwort zu stehen. Bewusst verzichtete er dabei auf einen vorgefertigten Redebeitrag um spontan auf die Vorredner und auf die Fragen des Auditoriums eingehen zu können. Viele Zuhörer nutzten daher die Gelegenheit ihren Unmut auszudrücken. Zentrale Kritikpunkte waren dabei die Bewertung von Mindestabständen in Zusammenhang mit Grenzwerten und die Ignoranz gegenüber den Ängsten der Anwohner. Schnell wurde klar, dass der enorme Gesprächsbedarf den Zeitrahmen sprengen würde.
Ergänzende und weiterführende Informationen zu den Aufgaben der BNetzA und den aktuellen Planungsverfahren:
⇒ www.netzausbau.de
Gerade in Zeiten des politischen Umbruchs ist eine faktenorientierte Diskussion zwingend notwendig. Leider waren trotz frühzeitiger Einladung nur wenige Vertreter/innen aus dem politischen Lager bereit, sich am Konvent in Fulda zu positionieren. Timon Gremmels (MdB, SPD) kennt die Bedenken der Trassengegner schon seit der Zeit als energiepolitischer Sprecher seiner Partei im Hessischen Landtag und bemühte sich, den Koalitionsvertrag als Schritt in die richtige Richtung zu bewerten. Doch die Bürgerinitiativen vermissen einen zielorientierten Energiewendeplan ebenso wie eine nachvollziehbare Begründung der Ausbaupfade für den geplanten Netzausbau. Auch wenn sich Politiker/innen aller Parteien dem Dialog mit den Trassenkritikern zunehmend entziehen, die Missstände in der Energiepolitik können durch Ignoranz nicht behoben werden. Durch Bündnispolitik und Verhandlungen mit Interessensgruppen hinter verschlossenen Türen wird erneut Glaubwürdigkeit verspielt. Die Transparenz in den Planungsverfahren verschleiert sich zunehmend, wenn Bürgerbeteiligung ausgeschlossen wird.
Seit Jahren fehlt bei der Umsetzung der Energiewende die Kontinuität und Fördermaßnahmen greifen nicht ineinander. Obwohl laut einer aktuellen Studie des Fraunhofer Instituts die Gestehungskosten für Strom aus erneuerbaren Energien kontinuierlich sinken und somit eine CO₂-freie Stromerzeugung möglich wäre, schließen sich Energiekonzerne und Stromnetzbetreiber europaweit zusammen um ein flächendeckendes Netzwerk aufzubauen, das uneingeschränkte Stromhandelsgeschäfte ermöglicht. Die Zahl der Lobbyisten und ihr Einfluss auf europäische Parlamente steigt unaufhörlich an. Kohle- und Atomindustrie sichern sich somit weiterhin ihre Pfründe, während der Wunsch des Souveräns nach mehr Dezentralität und der Möglichkeit regionaler Wertschöpfung ignoriert wird.
Politiker/innen müssen sich auch auf EU Ebene für die Belange ihrer Wähler und eine Umsetzung der Energiewende einsetzen. So war auch Arne Gericke (MdEP, Freie Wähler) überzeugt, dass ein Netzausbau ohne Mitspracherechte für Bürger und Bürgerinnen weder energiepolitisch noch volkswirtschaftlich vertretbar ist. Man müsse über die Milliardenkosten sprechen, die beim Trassenbau anfallen, denn die HGÜ-Trassen sind das „Stuttgart 21“ der Energiewende. Es könne nicht sein, dass die Trassen gebaut würden und man hinterher feststellen würde, dass man sie nicht brauche. Ebenso hinterfragt Herr Gericke die Rechtmäßigkeit der Bundesfachplanung, da durch das NABEG (Netzausbaubeschleunigungsgesetz) EU-Recht verletzt wird und bezieht sich dabei auch auf die Aarhus Konvention. Eine Anfrage im Europäischen Parlament ist dazu gestellt worden.
Ralph Lenkert – Die LINKE
⇒ Warum zentrale Stromnetze bei EE-Strom Versorgungssicherheit nicht garantieren
Arne Gericke – Freie Wähler
⇒ Volle Kraft für die Bürgerenergie – die europäische Energiewende gestalten
Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ohne Alternative. Wir alle tragen die Verantwortung für Umwelt- und Klimaschutz. Energieeffizienzmaßnahmen und das Überdenken des eigenen Verhaltens sind bereits ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen heute handeln, wenn wir unsere Welt für nachfolgende Generationen lebenswert erhalten möchten. Klimawandel zu leugnen ist engstirnig und verantwortungslos.
Bürgerbeteiligung beim Stromnetzausbau darf nicht erst stattfinden, wenn bereits alle Entscheidungen gefallen sind. Dafür setzen sich die Initiativen entlang der geplanten HGÜ-Trassen SuedLink, SuedOstLink und Ultranet auch in Zukunft ein und fordern ein Recht auf Mitbestimmung. Nur das Gespräch mit den politisch Verantwortlichen und die Bereitschaft zu einem wahren Dialog können hier zielführend sein. Bei der Diskussion um die strategische Ausrichtung der Bürgerinitiativen wurde eines klar: Die Ignoranz der Verantwortlichen stärkt die Bereitschaft, den Widerstand gegen den überdimensionierten Netzausbau wieder sichtbar auf die Straßen zu bringen. Nicht nach dem St. Florians-Prinzip, sondern gemeinsam können wir Fehlentscheidungen konstruktiv entgegenwirken.
So endete der Konvent in Fulda mit konkreten Forderungen der Initiativen an die Bundesregierung und die zuständigen Ministerien mit dem festen Entschluss, diesen Forderungen auch bei künftigen Termingesprächen immer wieder Nachdruck zu verleihen. (MQ)