Mit dem Entwurf des Szenariorahmens stellen die Übertragungsnetzbetreiber aus ihrer Sicht die Weichen für den nächsten Netzentwicklungsplan. Und mit jedem Entwurf wird ein erneuter Ausbau des Höchstspannungsnetzes in den kommenden Jahren gefordert. Obwohl man das erste Mal ein finales Szenario in den Blick nimmt, wie tragfähig ist das Konzept der ÜNB wirklich? Wird das Potential der Erneuerbaren Energien überhaupt ralistisch eingeschätzt und welchen Stellenwert haben Versorgungssicherheit und dezentrale Energiewende? Oder geht es – auch im Hinblick auf die EU-Taxonomie – hauptsächlich um den Stromhandel?
Stellungnahme zum Entwurf des Szenariorahmens 2023 – 2037 der ÜNB
Vorwort
Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zum Entwurf des Szenariorahmens (SZR) 2023-2037 nehmen wir als Bundesverband der Bürgerinitiativen gegen SuedLink (BBgS) auch diesmal an der Konsultation teil, da wir aufgrund der drastischen Entwicklungen auf dem Energiemarkt mehr denn je der Überzeugung sind, dass die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) bei der Erstellung des aktuellen SZR erneut ihre Monopolstellung ausnutzen, um die eigenen Geschäftsinteressen durchzusetzen.
Die Teilnahme an der Online-Veranstaltung der BNetzA am 07.02.2022 und der Gelegenheit zur Diskussion mit den ÜNB und weiteren Stakeholdern hat uns in dieser Annahme bestärkt. Obwohl von ÜNB und BNetzA an diesem Infotag bewusst vermieden, spielt auch das Thema Greenwashing der Atomenergie durch die EU-Taxonomie eine entscheidende Rolle bei der Begründung unserer Ablehnung des SZR 2023-2037(2045).
Mit einer Veröffentlichung unserer Stellungnahme sind wir einverstanden.
Szenariorahmen als Grundlage eines Klimaneutralitätsnetzes?
Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) wird von den ÜNB mehrfach bemüht, um den Szenariorahmen und damit den gigantischen Ausbau des Übertragungsnetzes zu rechtfertigen. Explizit erwähnt wurde diesmal bei der Vorstellung des SZR auch der Stromhandel. Die Annahme, Versorgungssicherheit hauptsächlich durch Stromimporte zu gewährleisten, lässt zwar die Zielrichtung in den Überlegungen der ÜNB deutlich erkennen, deckt die wahrscheinliche – und vor allem mögliche – Entwicklung von Stromerzeugung und -verbrauch in Deutschland nicht ab. Den Übertragungsnetzausbau ohne eine entsprechende Kosten-Nutzen-Analyse kontinuierlich zu erweitern, widerspricht dem EnWG.
- 1 EnWG: Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität, Gas und Wasserstoff, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht.
Der Szenariorahmen kann die Bandbreite der wahrscheinlichen Entwicklung im Rahmen der energiepolitischen Ziele der Bundesregierung nicht objektiv abbilden. Denn, wie schon oft in unseren zahlreichen Stellungnahmen gefordert: Die Energiewende ist ein gesamtstaatliches Projekt, dem sich auch Bundesoberbehörden, ÜNB und VNB unterzuordnen haben. Ein Zielsystem der Energiewende auf Basis des novellierten Klimaschutzgesetzes ist Aufgabe einer Kommission des Gemeinwohls und nicht Aufgabe der ÜNB.
Deutschland soll zur Stromdrehscheibe in Europa ausgebaut werden. Die EU-Taxonomie sieht vor, Atomstrom als nachhaltige Energieform einzustufen, was letztendlich nur dazu führt, dass Finanzinvestments umgeleitet werden und Gelder für die Energiewende verloren gehen. Wir werden mit unseren Steuergeldern Atomkraft in Frankreich bezuschussen und dann den Atomstrom über von uns Bürgerinnen und Bürgern finanzierte HGÜ-Trassen quer durch Europa leiten, ebenso den Kohlestrom aus Tschechien und Polen. Von einem Klimaneutralitätsnetz zu sprechen entbehrt daher jeglicher Grundlage.
Alle Anstrengungen auf dem Weg zur Klimaneutralität werden konterkariert, wenn die BNetzA den Übertragungsnetzausbau weiterhin unkritisch bzw. unkontrolliert genehmigt. Im SZR werden nicht die notwendigen Entwicklungspfade dargestellt, sondern diejenigen, die sich ÜNB, Energiekonzerne und Industrie wünschen.
Integrierte Betrachtung aller Sektoren
Ein Anstieg des Stromverbrauchs ist zwar in den nächsten Jahren zu erwarten, aber nicht in dem Maße wie es von den ÜNB in den Szenarien angenommen wird. Das Thema Effizienz spielt im SZR nur eine untergeordnete Rolle. Eine Vielzahl von Studien mit den unterschiedlichsten Ergebnissen zeigt deutlich, wie gespalten auch die Meinung unter Energieexperten sein kann.
Betroffene Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass der Bedarf an weiteren Infrastruktur-projekten eindeutig nachgewiesen werden muss. Die DIW Studie zu dezentralen Erzeugungs- und Verbrauchsstrukturen war für uns richtungsweisend, ebenso die Studien von Prof. Jarass zum Netzausbau. Auf wissenschaftlicher Basis wurde aufgezeigt, dass der überdimensionierte Ausbau des Übertragungsnetzes nicht alternativlos ist.
Im Jahr 2021 gab es keinen Leistungszuwachs bei Offshore-Windkraft, da sich aktuell keine Windkraftprojekte in Bau befinden. Die gesetzten Ausbauziele werden schlichtweg verfehlt und sind auch in den nächsten Jahren nicht einzuhalten. Nur um die Leistung der abgeschalteten AKWs zu ersetzen, müssten bereits über 2000 WKA der neuesten Generation in der Nordsee gebaut werden. Unverantwortlich, wenn man Naturschutz ernst nimmt. Die Behauptung, der Übertragungsnetzausbau sei die kostengünstigste Variante auf dem Weg zur Klimaneutralität ist schlichtweg nicht stichhaltig belegbar, da die Kosten bereits heute deutlich sichtbar aus dem Ruder laufen.
Auch die Studie des BEE, die uns an der Dialogveranstaltung zum SZR am 07.02.22 vorgestellt wurde bestätigt, dass die Offshore-Ausbauziele im SZR unrealistisch sind. Das vorgestellte Strommarktdesign lässt erkennen, dass die Klimaziele auch über interne Wege erreicht werden können. Unsere ablehnende Haltung gegenüber weiteren Interkonnektoren wird somit gestützt. Deutschland darf sich nicht zunehmend in Abhängigkeit zum europäischen Ausland bringen und dabei wirtschaftliches Potential im Inland verspielen. Eine energiepolitische Partnerschaft ist nur dann möglich, wenn die eigene Versorgungssicherheit nicht gefährdet wird. Die derzeitige politische Lage (Streit um Nordstream 2) zeigt deutlich auf, dass man seine eigene Handlungsfähigkeit nicht ohne Not aufgeben darf.
Um die Ausbaupfade von Windenergie an Land und Photovoltaik anzuheben, bedarf es einer Änderung der politischen Rahmenbedingungen, sodass sich Investitionen für diejenigen lohnen, die Energiewende mitgestalten und tatsächlich umsetzen wollen. Dazu müssen EU-Richtlinien (RED II) in deutsches Recht umgesetzt werden. Ohne „Bürgerenergie“ kann die Energiewende nicht beschleunigt werden.
In der Verkehrswende wird sich der Markt in Richtung bidirektionales Laden entwickeln und sollte in einem Langzeitszenario ebenfalls berücksichtigt werden. Das Potential der künftigen Generation von Elektroautos liegt auf der Hand: Erneuerbare Energien werden gefördert, die Kosten für den Netzausbau sinken und gleichzeitig wird für Netzstabilität gesorgt.
Interessanter Weise stellen wir im aktuellen Monitoringbericht (01.02.22) der BNetzA eine wundersame Vermehrung der Kraft-Wärme-Kopplung von fast 50% innerhalb eines Jahres fest. Anscheinend erkennt man erst jetzt, dass man mit dem Ausstieg aus der Kohle KWK zur Absicherung der Residualkapazität braucht. Der Szenariorahmen berücksichtigt dies noch unzureichend. KWK kann flexibel betrieben werden und entsprechend überdimensionierten Netzausbau verhindern.
Auch der BUND ist an vielen Studienprojekten beteiligt und begleitet den Netzausbau kritisch. In zahlreichen Stellungnahmen wird die Netzplanung fachlich fundiert in Frage gestellt. Die Umweltorganisation sieht z.B. die Rolle der Biomasse nicht in einem Mengenzuwachs der Stromerzeugung sondern in einer Steigerung der Spitzenleistung, die in KWK mit Wärme- und Gasspeichern zu einem regional flexiblen Ausgleich der fluktuierenden Stromerzeugung aus Wind und Sonne eingesetzt werden kann. Dieser flexible, netzdienliche Einsatz von Biomasse dient zur Versorgungssicherung und kann den Bedarf an Gaskraftwerken deutlich reduzieren.
Rechenzentren und deren Energiebedarf werden im Szenariorahmen ebenfalls thematisiert. Energieeffizienz und Standortfrage werden von den ÜNB aber nicht berücksichtigt. Der Berechnungswert PUE zur Effizienz von Rechenzentren ist dank moderner Klimasysteme bereits deutlich gesunken, da Energieeffizienz schon bei der Planung eine herausragende Rolle spielt. Der Standort muss nicht zwangsläufig mitten in Ballungsgebiete gelegt werden und könnte sich künftig auch daran orientieren, wo erneuerbare Energien in ausreichendem Maße erzeugt werden. Netzausbau auf Kosten der Allgemeinheit ist kein Wunschkonzert, denn auch Rechenzentren profitieren ab einer gewissen Größe ebenfalls von einer Entlastung bei den Stromnetzentgelten. Die entgangenen Erlöse werden von den ÜNB als Aufschlag auf die Netzentgelte (§ 19 StromNEV-Umlage) anteilig auf alle Letztverbraucher (also uns) umgelegt.
Wenn wir Stromnetze ausbauen müssen, dann sollte es das richtige Netz sein, da wo die meisten erneuerbaren Energien eingespeist und verteilt werden. Mit einer nachweisbaren Wertschöpfungskette in der Region. Der Ausbau des Verteilnetzes garantiert die Möglichkeit erneuerbare Energie erzeugungsnah in das öffentliche Netz einzuspeisen. Quartierslösungen entlasten das übergelagerte Stromnetz und eine Netzknotenbepreisung zwingt die Industrie zu eigenverantwortlichem Handeln und Umdenken (auch in Bayern). Die Transportkosten müssen beim Stromhandel eingepreist werden. Der von der Industrie geforderte Strompreis von maximal 4 Cent/kWh ist nicht mehr zeitgemäß.
Wenn die Netzkosten weiterhin nur von Bürgerinnen und Bürgern bzw. dem Mittelstand getragen werden, gefährdet dies den gesellschaftlichen Frieden, denn die sichere Versorgung mit bezahlbarer Energie ist angesichts rasant steigender Strompreise nicht mehr gegeben.
Schlusswort
Die Richtung in der Diskussion um die Energiewende muss sich ändern. Wer den Ausbau der erneuerbaren Energien forcieren will, muss entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Flexibilität und Dezentralität sind dabei der Weg zum Ziel. Schon aufgrund der langen Planungs- und Genehmigungsverfahren muss der Übertragungsnetzausbau auf das Notwendigste reduziert werden. Die inzwischen geltenden Beschleunigungsgesetze können sich über Umwelt- und Naturschutzrichtlinien nicht hinwegsetzen auch wenn man versucht, Umweltverbände und die Öffentlichkeit in den Beteiligungsmöglichkeiten einzuschränken. Gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger ist ein massiver Stromnetzausbau nicht umsetzbar. Wir begreifen den konstruktiven Dialog mit den energiepolitisch Verantwortlichen als Chance, gemeinsam Energiewende zu gestalten.
Diese Stellungnahme des Bundesverbandes der Bürgerinitiativen gegen SuedLink wurde am 14.02.2022 fristgerecht bei der BNetzA eingereicht.