Der aktuelle Bundesbedarfsplan ist noch nicht bestätigt, da wenden sich die Energieminister der Länder Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein bereits in einem Schreiben an Bundeswirtschaftsminister Altmaier und erhoffen sich durch dessen Intervention bei der Bundesnetzagentur eine vorzeitige Erweiterung des SuedLink um 2 GW, obwohl dies im aktuellen Bundesbedarfsplan nicht vorgesehen ist. Die Minister streben eine verkürzte Verfahrenszeit an und suchen Wege, um Bürgerbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfungen weitestgehend auszuschalten. Das Aktionsbündnis der Trassengegner von SuedLink, Süd-Ost-Trasse, Ultranet und Juraleitung und das Bündnis für Atomausstieg Regensburg, haben sich in einem offenen Brief an die Minister kritisch zu diesem Vorgehen geäußert.
Offener Brief
Aktionsbündnis gegen den überdimensionierten Netzausbau
(Download)
An die Minister
Franz Untersteller – Bündnis 90/Die Grünen – Baden-Württemberg
Tarek Al-Wazir – Bündnis 90/ Die Grünen – Hessen
Olaf Lies – SPD – Niedersachsen
Jan Philipp Albrecht – Bündnis 90/Die Grünen – Schleswig-Holstein
Sehr geehrte Herren Minister
Wohlwissend, dass die HGÜ-Leitung SuedLink eine höchst umstrittene Infrastrukturmaßnahme mit massiven Eingriffen in Landschaft, Natur und Wohnumfeld darstellt, scheuen Sie sich nicht, in einer Art Kooperation der Länder Hessen, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein dem Bundeswirtschaftsminister in Berlin einen Vorschlag zur Erweiterung von SuedLink zu unterbreiten, obwohl aktuell kein Bedarf dafür nachgewiesen wurde.
Durch die Novellierung des NABEG und die schnelle Verabschiedung des Planungssicherstellungsgesetzes (PlanSiG) wurden der Öffentlichkeit viele Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung genommen. Die Bundesregierung ist damit ihrem Ziel, Planungsverfahren für große Infrastrukturmaßnahmen zu beschleunigen zwar näher gekommen, aber das sollte nicht dazu führen, dass lang erkämpfte Bürgerrechte und Umweltschutzrichtlinien systematisch abgeschafft werden. Ihr Schreiben an Minister Altmaier deutet leider genau in diese Richtung.
Stromnetzausbau gibt es nicht zum Schnäppchenpreis
Der Netzentwicklungsplan wird kontinuierlich fortgeschrieben und niemand kann heute vorhersehen, wie sich die Sektorenkopplung, die Integration der Power-to-X Speichertechnologien und die neue Wasserstoffstrategie auf den Bedarf an neuen Höchstspannungsleitungen auswirken werden. Daher muss der energiewirtschaftliche Bedarf sämtlicher Netzausbauvorhaben, die im Bundesbedarfsplan-gesetz festgeschrieben sind, stetig wiederkehrend nachgewiesen werden.
Der Stromnetzausbau ist kein Wunschkonzert und folgerichtig werden von der BNetzA etliche Leitungsprojekte – darunter z.B. die Verbindung Uentrop-Altbach – nicht genehmigt. Das von Ihnen zur Sprache gebrachte Projekt Heide/West-Altbach ist derzeit nicht im Bundesbedarfsplan gelistet. Der Netzentwicklungsplan 2030 wurde bestätigt, es gab Beteiligungsmöglichkeiten und Fristen für Stellungnahmen, die zwingend eingehalten werden mussten. Nach abschließender Prüfung hatte die BNetzA verbindlich über den Bedarf entschieden.
Dass Sie nun im Nachgang an diesen Prozess eine vorzeitige Erweiterung des SuedLink vorschlagen und gleichzeitig Möglichkeiten aufzeigen, wie man in einem laufenden Verfahren bestehende Vorschriften umgehen kann, entbehrt jeglicher Rechtsgrundlage. Wenn Sie die Kompetenz der Bundesnetzagentur anzweifeln, sollten Sie sich konsequenter Weise gegen die anstehende Verabschiedung des Bundesbedarfsplans stellen und eine Überarbeitung fordern. Für Ihren Versuch, den Bundeswirtschaftsminister „hinter den Kulissen“ zur Intervention in Ihrem Sinne anzuregen, haben wir kein Verständnis. Auch wir üben Kritik an den Netzentwicklungsplänen, doch im Gegensatz zu Ihnen sind wir überzeugt, dass man für die Energiewende einen deutlich geringeren Netzausbau benötigt, kostensparender und umweltschonender. Dies müsste bei einer erneuten Bedarfsprüfung ebenfalls berücksichtigt werden.
Zusätzlich sogar den Verzicht einer Bundesfachplanung für das von Ihnen geforderte Projekt Heide/West-Altbach anzustreben ist ein weiterer Beweis dafür, dass Sie einen regulären – gesetzlich geregelten – Verfahrensverlauf umgehen wollen. Sollte sich der Bundeswirtschaftsminister auf Ihre Empfehlungen einlassen, werden wir alle Möglichkeiten prüfen, um juristisch gegen dieses Possenspiel vorzugehen.
- Sie berufen sich auf eine Akzeptanzsteigerung beim Netzausbau, obwohl Sie die Beteiligung der Öffentlichkeit bewusst ausgrenzen und verhindern möchten.
- Sie argumentieren mit (möglicherweise!) Kosteneinsparungen von bis zu einer Mrd. Euro, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie man mit diesem Geld den zellularen Ansatz – den Ausbau regionaler und somit dezentraler EE-Erzeugungs- und Verbrauchsstrukturen – konsequent fördern und ausbauen könnte.
- Sie behaupten, der Ausbau der Übertragungsnetze führt zu einer schnellen Umsetzung der Energiewende, obwohl der größte Teil (97%!) der erneuerbaren Energien in die Verteilnetze eingespeist und anschließend verteilt wird.
- Anstatt regionale Wertschöpfungsketten zu unterstützen, befürworten Sie ein Energieleitungssystem, das einzig für den Stromhandel (mit Atom und Kohle) innerhalb der EU bestimmt ist. Die hohen Risiken dieser zunehmend zentralistisch ausgerichteten Energiepolitik werden von Ihnen konsequent ausgeblendet.
- Sie folgen den Empfehlungen einer TransnetBW-Studie, wohlwissend, dass es hier um eigennützige Interessen des Unternehmens geht. Bedarfsermittlung, Planung, Bau und Betrieb in der Hand der ÜNB führt zu überdimensioniertem Netzausbau. Sie stellen jetzt auch noch die Entscheidungen der Kontrollbehörde infrage!
- Sie schwächen mit Ihrem Standpunkt auch die Verteilnetzbetreiber, die auf regionaler und lokaler Ebene die Versorgungssicherheit garantieren, sich aber künftig verstärkt dem Diktat der ÜNB beugen sollen, ohne dass diese ihrerseits Netzberechnungen transparent darstellen müssen. Tatsache bleibt: Eine Blackout-Gefahr ist im Übertragungsnetz und bei Börsenspekulanten zu verorten.
- Sie verhindern den Ausbau und die Förderung dezentraler Energiekonzepte und die dringend erforderliche Integration von Speichertechnologien in den realen Wirtschaftskreislauf.
- Sie versuchen im Namen der Energiewende die Akzeptanz für den überdimensionierten Netzausbau zu erhöhen. Warum erklären Sie nicht öffentlich, dass man einen europäischen Netzverbund anstrebt bei dem Deutschland als Transitland das Übertragungsnetz zur Verfügung stellen soll?
Auch ÜNB TenneT zeigt aufgrund hoher Renditeerwartungen verstärkt Interesse daran, sein Geschäftsfeld auf den Bereich Gas und Wasserstoff auszuweiten und die Planung zum Offshore-Ausbau (inklusive North-Sea-Wind-Power-Hub) in Nord- und Ostsee nimmt erschreckende Ausmaße an. Diese ehrgeizigen Pläne, die bei einem Schuldenberg von 10 Milliarden Euro eher einer Flucht nach vorne gleichen, sollen die eigene Monopolstellung des Unternehmens u.a. auch mit Hilfe von ausländischen Investoren weiter verfestigen. Der Preis, den wir – die privaten Stromkunden und Steuerzahler – dafür zahlen werden, ist hoch und nebenbei verspielen wir endgültig die Souveränität unseres Landes bezüglich der Energie-Versorgungssicherheit.
Da die Allgemeinheit bereits heute die Kosten für Netzentgelte und EEG-Umlage für energieintensive (nicht nur systemrelevante!) Industriebetriebe mitträgt und zusätzlich mit vielen Steuermilliarden die Corona-Krise bewältigen muss, ist Ihr Vorschlag zur vorschnellen Netzerweiterung weder ausreichend durchdacht, noch volkswirtschaftlich gerechtfertigt. Beschleunigungsmaßnahmen werden inzwischen zwar in kürzester Zeit gesetzlich untermauert, aber dies legitimiert noch lange nicht die Einschränkung von demokratischen Bürgerrechten und Umweltschutz in Planungsverfahren.
Umweltzerstörung wird billigend in Kauf genommen
Wirtschaftsinteressen vor Umweltschutz zu stellen und dies unter dem Deckmantel der Energiewende, hätten wir von drei verantwortlichen Ministern aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen nicht in dieser Form erwartet. Sie scheinen sich zunehmend von ihrer politischen Basis zu entfernen. Während Umweltverbände einhellig vor den negativen Auswirkungen des unkontrollierten Ausbaus der Offshore-Anlagen warnen, ist für Sie der gigantische Ausbau auf 40 GW (inklusive überdimensioniertem Netzausbau) anscheinend kein Problem. Energiekonzerne und Investoren klatschen Beifall, die Börsengeschäfte boomen. Doch Sie stehen politisch in der Verantwortung und sind Ihren Wählern, nicht den wirtschaftlichen Interessen von Großkonzernen verpflichtet.
Jahrelang haben wir uns argumentativ und konstruktiv in den Bürgerdialog zum Netzausbau eingebracht, haben Stellungnahmen geschrieben, an den meisten Veranstaltungen der BNetzA und der ÜNB teilgenommen. Es wurde immer wieder versichert, man plane zwar mit dem „worst-case-Szenario“, sei aber bestrebt, die Umweltschäden so gering und entsprechend auch die Trassenbreite so schmal wie möglich zu halten. Die aktuelle Entscheidung für 525 kV Kabel entsprach diesen Vorstellungen.
Der Vorschlag, den Sie nun ins Gespräch bringen, untergräbt Ihre Glaubwürdigkeit, führt jeglichen Bürgerdialog ad absurdum und verfestigt den Eindruck, dass Sie zunehmend blind den Handlungsempfehlungen starker Lobbyverbände folgen. Im Umweltbericht der BNetzA wird auf die extremen Schäden hingewiesen, die durch den Netzausbau zu erwarten sind. Es sollte in Ihrem Interesse liegen, Natur zu erhalten und nicht leichtfertig zu zerstören.
Ihr Vorschlag wird den Landwirten, die um jeden Quadratmeter fruchtbaren Boden kämpfen nicht gerecht. Sie ignorieren den besorgniserregenden Zustand der heimischen Wälder und die Bedenken der Forstwirte, dass jeder zusätzlich geschlagene Meter Holz die natürliche Funktion des Waldes und seine Aufgabe für den Klimaschutz zerstört. Grundwasserströmungen können durch Eingriffe in den Boden verändert werden und zu regionaler Wasserknappheit führen, bei jeder Flussquerung besteht die Gefahr der Gewässerverunreinigung. Der Flächenverbrauch für Konverterhallen wird bisher mit 10 Hektar angegeben und würde sich weiter vergrößern. Unvorhersehbare Auswirkungen auf Mensch, Natur und Landschaft für ein ehrgeiziges Projekt, dessen Bedarf nicht festgestellt wurde.
Gesundheitsrisiko von Höchstspannungsleitungen
SuedLink ist ein Pilotprojekt! Ohne relevante Betriebs-Erfahrungswerte in dicht besiedeltem Raum vorweisen zu können, ist Ihre Forderung nach einer zusätzlichen Übertragungskapazität von 2 GW äußerst fahrlässig. Bei einer Erdkabeltrasse in der Größenordnung des „doppelten SuedLink“ würde im Störungsfall eine systemrelevante Menge an Strom über Wochen nicht zur Verfügung stehen. Ihr Vorschlag setzt somit auch den Ausbau von 380 kV Wechselstrom-Freileitungen voraus, um die Absicherung (n-1) für das deutsche Stromnetz zu gewährleisten. Ein aktueller Vorfall im Kreis Landshut hat gezeigt, dass von diesen Leitungen eine erhebliche Gefahr ausgehen kann. Die zulässigen Grenzwerte der elektrischen Feldstärke wurden laut TÜV-Studie um mehr als das Doppelte überschritten! Das Bundesamt für Strahlenschutz bestätigt in diesem Fall erhöhte Gesundheitsrisiken. Wenn ein Übertragungsnetzbetreiber die vorrangige Aufgabe eines sicheren Netzbetriebes nicht gewährleisten kann, sollte man ihm – zum Schutz der Bevölkerung – die Betriebserlaubnis entziehen. ÜNB TenneT bestätigt zwar die Netzprobleme, wird diese aber nicht zeitnah beseitigen können. Dies sind die Partner, auf die Sie vertrauen!
Vor diesem Hintergrund sind die Bedenken der Anwohner bei einer Höchstspannungsleitung wie Ultranet, mit Leiterseilen für Wechsel- und Gleichstrom als sogenanntes Hybridsystem auf denselben Masten, in jedem Fall nachvollziehbar. Denn wenn eine sichere Betriebsführung nicht konstant gewährleistet werden kann, sind gesundheitliche Gefahren für die Bevölkerung nicht mehr von der Hand zu weisen. Sind das Ihre Vorstellungen einer sicheren Energiezukunft für Deutschland?
Suchen Sie Alternativen zum überdimensionierten Netzausbau!
Der installierten Leistung deutscher Offshore-Windparks von 7.516 MW (24,4 TWh Stromproduktion), stehen immerhin 53.912 MW (102,6 TWh Stromproduktion) der Onshore-Windanlagen gegenüber. Sie hätten Wirtschaftsminister Altmaier raten sollen, endlich die Restriktionen gegenüber der Solarenergie aufzuheben und die Weiterentwicklung der Power-to-Gas-Technologie uneingeschränkt zu fördern. Das Markthochlaufprogramm für Elektrolyseure zeigt in die richtige Richtung und kann deutschlandweit (nicht nur an der Küste) dazu beitragen, dass EE-Anlagen nicht abgeregelt oder Stromüberschüsse ins Ausland verschenkt werden müssen. Dass die Kopplung von Strom- und Gasnetz für das Gelingen der Energiewende unerlässlich ist und entsprechend zielorientiert verfolgt werden muss, mahnen wir schon seit Jahren an.
Werden Sie nicht zur Marionette einflussreicher Lobbyverbände, denen es hauptsächlich um den eigenen Profit geht. Wo Energiewende draufsteht, ist noch lange keine Energiewende drin! Nehmen Sie die Industrie in die Pflicht und schützen Sie Ihre Wähler und all jene, die sich tagtäglich in regionalen Projekten für die Energiewende einsetzen vor folgenschweren Entscheidungen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Es gibt Alternativen zum überdimensionierten Netzausbau und es gibt namhafte Energieexperten, die dies mit Fakten untermauern.
Überdenken Sie Ihr Handeln, bleiben Sie mit uns im Gespräch und verlieren Sie kurz vor der nächsten Bundestagswahl nicht endgültig den Bezug zu Ihren Wählern, die immer wieder eindringlich auf die Risiken dieser überzogenen Netzplanung hinweisen.
Bundesverband der Bürgerinitiativen gegen SuedLink
Aktionsbündnis gegen die Süd-Ost-Trasse
Aktionsbündnis Ultranet
Bürgerinitiative gegen den Ersatzneubau Juraleitung
Büfa Regensburg