Energiewende – eine deutsche Insellösung in Europa?

(22.07.2016) Auf Einladung der BI Felsberg und unter Moderation von Frau Erika Carstensen-Bretheuer (Sprecherin des hessischen LV der Bürgerinitiativen gegen SuedLink), stellte sich die hessische Europaabgeordnete Frau Martina Werner (SPD), den Energiepolitischen Fragen des interessierten Publikums zu Energiewende, Stromnetzausbau in Europa und möglichen Alternativen.

Frau Werner ist im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie des Europaparlaments (ITRE) sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel  (INTA) und konnte dadurch klar beschreiben, wie sich aktuell die Energiepolitik in Europa gestaltet und welche Ziele eine Europäische Energieunion letztendlich verfolgt.

Energiewende – nur eine Insellösung für Deutschland?

Wie schon im Vorfeld befürchtet, wurde im Laufe der Veranstaltung immer deutlicher, dass es in absehbarer Zeit kein gemeinsames Energiekonzept mit den europäischen Partnerländern geben wird und Deutschlands Energiewende aus Sicht Europas eine „Insellösung“  darstellt, vor allem im Hinblick auf den Ausstieg aus der Atomenergie.

Nationale Interessen stehen im Vordergrund und setzen der Europäischen Energieunion deutliche Grenzen. Deutschlands Umsetzung der Energiewende und der geförderte Ausbau der Erneuerbaren Energien  werden von den europäischen Nachbarn massiv kritisiert und für die Überfrachtung der eigenen Systeme mit regenerativem Strom verantwortlich gemacht. Laut Aussage von Frau Werner hat sich jedes Land verpflichtet, 10% seiner Leitungskapazität für den grenzüberschreitenden Stromhandel zur Verfügung zu stellen. Da man weiterhin auf lukrative Geschäfte mit Kohle- und Atomstrom setzt, fordert die EU-Kommission den Ausbau der Übertragungsnetze – auch in Deutschland. Dies soll vor allem den Bau der Stromautobahnen  SuedLink und SuedOstLink rechtfertigen. Um Druck auszuüben wird inzwischen mit der Zerschlagung des Strommarktes in zwei Preiszonen gedroht.

Während Länder gegenüber der EU-Kommission klagen, sie selbst hätten Probleme bei der Sicherstellung der Stromversorgung, kritisiert man gleichzeitig die hohe Windstromproduktion in Deutschland, die als billige Überschussenergie in die Netze der Nachbarländer drängt und hier konventionelle Kohle- und Atomkraftwerke unwirtschaftlich werden lässt.

Dezentrale Energiekonzepte, Energiewende in Bürgerhand? Fremdworte für Europa!

Die derzeitigen politischen Entscheidungen sowohl auf Bundes- als auch auf EU-Ebene nützen vorrangig den großen Stromkonzernen und den Übertragungsnetzbetreibern. Daher werden dezentrale Energiekonzepte europaweit – sowohl von der Industrie als auch von der Politik – argwöhnisch betrachtet und deren flächendeckende Ausbreitung auch in Deutschland durch immer neue Gesetzesnovellierungen konterkariert. Niemand möchte freiwillig seine Monopolstellung auf dem Energiemarkt und damit seine Macht aufgeben. Menschen, Umwelt- und Naturschutz spielen dabei keine Rolle und als Druckmittel wird mit dem Verlust tausender Arbeitsplätze gedroht. Das erklärt die teilweise erschreckende Hilflosigkeit vieler (vom „Volk“ gewählter) Politiker gegenüber einer übermächtigen Energieindustrie, die sich in keiner Weise dieses lukrative Geschäftsmodell streitig machen lässt.

Deutschland kann Wegweiser für ein energiepolitisches Umdenken in Europa sein

Atomkraft kann letztlich immer nur auf Kosten der Umwelt, der Allgemeinheit und der kommenden Generationen betrieben werden, das ist unumstritten – also womit will man diese Technologie rechtfertigen? Kohlekraftwerke sind der Klimakiller Nr. 1 und stehen in krassem Gegensatz zu allen Bemühungen um Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz. Abgesehen davon fallen noch heute Dörfer dem Kohleabbau zum Opfer und viele Menschen verlieren ihre Heimat, ihr soziales Umfeld und ihre Zukunftsperspektiven – auch in Deutschland.

Daher ist die Forderung des Bundesverbandes der Bürgerinitiativen gegen SuedLink (BBgS)  nach einem energiepolitischen Umdenken mehr als legitim. Es gibt bereits vielversprechende Lösungen um auch mit volatiler Sonnen- und Windenergie dauerhaft die Versorgungssicherheit mit Energie (Wärme, Strom und Mobilität) zu gewährleisten. Dabei sind  auch staatlich finanzierte Fördermittel für die schnelle Weiterentwicklung aller Speichertechnologien und der gezielte Ausbau von Speicherkapazitäten unumgänglich. Das politische Augenmerk muss sich gleichzeitig auf einen sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohleindustrie richten, um Ressourcen zu schonen, denn:

Kohle und die Reste unseres Erdöls sind das GOLD der Zukunft! Aber nicht zum Verheizen und Verstromen, sondern als Rohstoffe für Bau- und chemische Industrie.

Deutschland könnte Wegweiser für ein energiepolitisches Umdenken in Europa sein, die Menschen sind bereit dazu, nur die Politik muss die richtigen Weichen stellen. Das Modell der dezentralen Energiegewinnung und -versorgung wird von vielen Kommunen, Stadtwerken und Genossenschaften bereits zukunftsweisend praktiziert. Es ist nicht eine Frage des Könnens, sondern ein Frage des Wollens. Hierzu gehört die Förderung für Effizienzmaßnahmen und Solarenergieanlagen auch in Großstädten und Ballungszentren ebenso, wie der Bau von Elektrolyseuren zur Kappung und Speicherung der Überkapazitäten aus Erneuerbarer Energiegewinnung und reaktionsschnelle Gaskraftwerke auf Basis der Power-to-Gas-Technik. Ein gut ausgebautes Verteilnetz mit einer vernünftigen Übertragungsnetzfunktion kann ziel- und bedarfsorientiert auch auf die europäische Stromnachfrage reagieren. Der Bau von Megastromtrassen ist somit ein Anachronismus und gehört der Vergangenheit an!

All dies sind Maßnahmen einer zukunftsorientierten Energiewende-Politik. Das Zielsystem der Energiewende könnte in allen EU-Staaten zur Anwendung kommen und nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Zukunftsperspektive bieten.

EU-Kommission setzt Deutschland unter Druck

Wenn es um die Frage der Stromproduktion in den Mitgliedsstaaten der EU geht, gewährt man allen Staaten  energiepolitische Autarkie. Jedes Land entscheidet über die Art der Energieproduktion selbst und auch über die Verantwortlichkeit bei Verteilung und Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Vielfach haben große Stromkonzerne eine klare Monopolstellung und können am Energiemarkt schalten und walten wie es  ihren eigenen Wirtschaftsinteressen bestmöglich entspricht. Ein Milliardengeschäft, das man gerne flächendeckend auch über Europas Grenzen hinweg etablieren möchte. Doch dazu glaubt man, dass HGÜ-Verbindungen, Stromautobahnen wie der SuedLink, „Projects of common interest“ (PCI) und Megatrassen im gemeinsamen Interesse (wessen?) länderverbindend den erweiterten Stromhandel ermöglichen. Ohne Nachfrage auf welche Art der Strom produziert wird und ohne Kontrollsystem, eine komplette Fehleinschätzung!

Dass Deutschland durch konsequente Umsetzung der Energiewende dieses monopolistische System gefährdet ist vielen EU-Staaten ein Dorn im Auge! Und so fordert man im Bereich der Energiepolitik – wo es rein um die Macht des Geldes geht – genau jene Solidarität ein, die man selbst bei anderen gesellschaftspolitischen Fragen konsequent ignoriert. Die Souveränität der deutschen Energiepolitik soll den Interessen der Nachbarländer geopfert werden und da sich Deutschland durch den Europäischen Energieverbund in die Verpflichtung begeben hat den europäischen Stromhandel zu unterstützen, fordert man den zügigen Ausbau der Stromnetze, auch wenn diese für die Versorgungssicherheit im eigenen Land nicht benötigt werden.

Die Stromversorgung Süddeutschlands mit Windenergie aus dem Norden ist ein Märchen!

Nicht Wertschöpfung in der Region, nicht die Sicherung von Arbeitsplätzen, nicht die Verantwortung für ein intaktes Ökosystem stehen im Vordergrund – es sind rein finanzielle Interessen einiger weniger Akteure auf Kosten der einfachen Menschen und der Allgemeinheit. Daher teilen viele politische Vertreter anderer Mitgliedstaaten (die teilweise selbst eng mit der Energielobby verknüpft sind) die „Deutsche Lösung zur Energiewende“ nicht und setzen weiterhin auf ein zentralistisches Energiesystem, das durch die Energieerzeugung in Großkraftwerken mit fossilen Brennstoffen und Atom geprägt ist und zur Verteilung ein gigantisches Stromnetz benötigt.

Der Strommarkt Europa setzt als zentrales Thema angeblich auf Versorgungssicherheit. Die demnächst 27 Mitgliedsstaaten (nach Brexit) wollen dazu ihr Strommarktdesign weiterhin selbst bestimmen. Deutschland hat sich für den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie entschieden, was bei vielen  europäischen Nachbarn auf Unverständnis stößt.

Um die Klimaziele aus dem Abkommen von Paris zu erreichen und die klimaschädlichen CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren, bietet Atomenergie angeblich eine „saubere Lösung“. Niemand bezieht die Kosten der Jahrtausende dauernden Endlagerung und den Rückbau der Atomkraftwerke, geschweige denn die externen Kosten für Gesundheitsnachsorge in die Berechnungen mit ein! Man ignoriert geflissentlich, dass die finanzielle Verantwortung für diese Risikotechnologie letztendlich auf Bürger und Staat abgewälzt werden.

Das Motto: Gewinne privatisieren – Verluste sozialisieren!!

EU-Kommission unterstützt nach wie vor Atomprogramme

Es gibt in der EU vereinzelt Bestrebungen, die Atomkraft wieder verstärkt auszubauen. Ein entsprechendes Strategiepapier der EU-Kommission sieht die Förderung dieses Energiesektors vor. Hauptargument der Atom-Befürworter bleibt die angebliche Emissionsreduktion. Doch Atomenergie ist weder emissionsfrei noch umweltfreundlich und es verwundert, dass durch den EURATOM-Vertrag (Europäische Atomgemeinschaft) aus den 50er Jahren, nach wie vor auch neue Atomprogramme unterstützt und gefördert werden. Bis heute ist kein Ausstieg Deutschlands aus diesem Vertrag erfolgt, obwohl er weder demokratisch noch zeitgemäß ist.

Da die Bundesregierung – beeinflusst von Industrie, Übertragungsnetzbetreibern, internationalen Verflechtungen und Energiekonzernen – die Umstellung auf Erneuerbare Energien  nur halbherzig verfolgt und ein geeignetes, verbindliches Energiewendekonzept vermissen lässt, werden die Kosten für Verbraucher weiter steigen. Strompreise und Netzentgelte werden den Bedürfnissen und Forderungen der Industrie angepasst und auf immer weniger Schultern verteilt.

Damit jedoch bei energiepolitischen Fragen ein Umdenken in ganz Europa einsetzt, muss ein auf alle Staaten abgestimmtes und von allen EU-Mitgliedern akzeptiertes Gesamtkonzept erarbeitet werden. Ohne Druck aus der Bevölkerung – aus der Wählerschaft – wird dies nicht möglich sein.

Partnerschaften fördern Verständnis und geben Sicherheit

Solange sich Politik immer mehr in Abhängigkeiten zu Industrie und Wirtschaft drängen lässt und die Grenzen teilweise zu verschwinden drohen, sind volkswirtschaftlich vertretbare, energiepolitische Entscheidungen nicht möglich. Diese Erkenntnis sollte den Bürgerprotest verstärken und über die Grenzen Deutschlands hinweg tragen.

Die Energiewende kann gelingen, wenn sie in den Köpfen der Menschen verankert wird und die Chancen für regionale Wertschöpfung durch erneuerbare Energieerzeugung auch mit Bürgerbeteiligung klar aufgezeigt werden. Städtepartnerschaften, die bereits über Jahrzehnte hinweg bestehen, können durch das Thema der dezentralen Energiewende neue Impulse erfahren und eine beschleunigte Dekarbonisierung der Energiewirtschaft einleiten, auch in den europäischen Nachbarstaaten.

Pläne, durch Bürger finanzierte Megastromtrassen den europäischen Atom- und Kohlestromhandel   anzukurbeln, gehören dann endgültig der Vergangenheit an. Dafür lohnt es sich einzustehen und dies auch bei anstehenden Bundestags- und EU-Wahlen zu thematisieren.

Es liegt in den Händen der Wähler, Einfluss auf die Energiepolitik zu nehmen – 2017 ist es in Deutschland wieder so weit. Dessen sollte sich jede Bürgerin und jeder Bürger bewusst sein. In den Bürgerinitiativen gegen SuedLink und gegen den SuedOstLink ist der Protest seit Jahren ungebrochen, immer mehr Energieexperten stellen sich hinter unsere Forderungen einer unabhängigen Bedarfsermittlung für Megastromtrassen. Umwelt- und Naturschutzverbände verbünden sich mit uns. Es ist an der Zeit, Stellung zu beziehen!

Das Thema Energiewende und Netzausbau geht uns alle an!