Ungeachtet der weltweiten Corona-Krise, die nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche beeinflusst und das öffentliche Leben seit Wochen lahmlegt, halten Bundesnetzagentur und Übertragungsnetzbetreiber an ihrem Zeitplan für die Netzausbauverfahren SuedLink, Südostlink, Ostbayernring, Ultranet und Juraleitung fest. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die Krise schamlos ausgenutzt wird, um den Netzausbau, der seit Jahren von vielen Organisationen, Experten, Initiativen und Bürgern scharf kritisiert wird, nun auch auf diesem Weg zu beschleunigen.
Bürgerinformationsveranstaltungen finden derzeit nicht statt, sogar Erörterungstermine fallen aus. Bürgerbeteiligung ist somit nicht mehr in vorgeschriebenem Maße möglich. Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen verhindern zusätzlich die Diskussion und den Meinungsaustausch in den Bürgerinitiativen. Wohlwissend, dass derzeit der Großteil der Bevölkerung alle Kräfte zur Bewältigung der eigenen Lebensumstände benötigt und vielfach Existenzsorgen den Alltag prägen, bietet man „großzügig“ allen weiterhin Interessierten die Möglichkeit der Kontaktaufnahme per Telefon oder E-Mail bzw. die Online-Beteiligung in den Verfahren an. Wenn Einwendungsfristen krisenbedingt nicht verlängert werden, muss man von einer bewussten rechtswidrigen Fortführung der Bundesfachplanung durch die Bundesnetzagentur ausgehen. Dies betrifft entsprechend alle weiteren Entscheidungen der Behörde zum Trassenverlauf.
In Krisenzeiten besteht die Gefahr, dass lang erkämpfte Bürgerrechte unter dem Vorwand der besonderen Umstände schrittweise ausgehebelt werden und auch die Bundesnetzagentur scheint in diesem Fall ihre Chance zu wittern den Milliarden verschlingenden Netzausbau ohne weitere Verzögerungen voranzutreiben. Wahrscheinlich rechnet man damit, dass Proteste und Einwendungen zu den Erörterungsterminen und den Nachbeteiligungsverfahren durch die derzeitigen erschwerten Rahmenbedingungen sehr gering ausfallen.
Diese praktizierte „Scheinbeteiligung“ beim Netzausbau-Verfahren im Schatten von Corona lehnen wir entschieden ab und erwarten von Politik, Bundesnetzagentur und Übertragungsnetzbetreibern auch beim Thema Netzausbau in den Krisenmodus umzuschalten und alle Verfahren bei denen Bürgerbeteiligung eingeschränkt wird, bis auf Weiteres auszusetzen.
Deutschland steht vor großen Herausforderungen und die Politik steht dementsprechend unter enormem Druck. Der Bundeshaushalt wird durch die gewährten Zuschüsse und staatlichen Notfallmaßnahmen schwer belastet und der finanzielle Schaden der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft ist noch lange nicht absehbar. Daher ist auch der Netzausbau – der schätzungsweise an die 90 Milliarden Euro verschlingen soll – auf den Prüfstand zu stellen.
Dass ein politisch und auch gesellschaftlich schnelles Umdenken in Ausnahmesituationen machbar ist, sollten wir als positive Lehre aus der aktuellen Lage ziehen. Es hat sich gezeigt, dass eine krisenfeste Versorgungsstruktur überlebensnotwendig ist. Dies trifft auch auf die Energieversorgung zu. Wir brauchen keinen überdimensionierten Netzausbau und keine „Super-Grids“ quer durch Europa wo sich alles nur um hohe Renditen und profitgetriebenen Machterhalt von Großkonzernen am Energiemarkt dreht, aber sicherlich nicht um Energiewende.
Nur durch dezentrale/regionale Strukturen kann das notwendige Maß an Sicherheit erreicht werden. Der verbrauchsnahe Ausbau Erneuerbarer Energien und Speicher muss das vorrangige Ziel der Energiewendepolitik werden. Das erfordert keinen Mut, sondern lediglich Vernunft. Die Energiewende ist alternativlos. Auch der Klimawandel wird zur lebensbedrohlichen, weltweiten Krise, wenn nicht schnellstens besondere Maßnahmen ergriffen werden.
Die entsprechende Pressemitteilung der Bürgerinitiativen vom 20.04.2020